Nach einem kleinen Einblick in das ABC von Verschwörungserzählungen geht es nun ins Eingemachte: Wo kommen sie her? Warum sind sie (k)ein Corona-Phänomen? Und wieso sind wir alle auf die ein oder andere Weise nicht frei davon? Im Folgenden habe ich euch ein paar Antworten zusammengestellt.
Erzählungen sind nicht Corona-exklusiv – aber schon immer gefährlich.
Verschwörungsmythen sind weder ein Corona- noch ein Neuzeitphänomen. Zwischen dem 16. bis späten 20. Jahrhundert gehörten sie fest in das gesellschaftliche Miteinander (z.B. ging man davon aus, dass Mozart von den Freimaurern ermordet wurde) und haben sogar ganze Kriege ausgelöst (z.B. Prager Fensterstürze). Der Glaube an die jüdische Weltverschwörung etwa hat den Holocaust erst möglich gemacht. Kurzum: Verschwörungserzählungen wirken sich auf Wirklichkeiten aus. Verpönt sind sie trotzdem erst seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, genauer zum Ende des zweiten Weltkriegs. Aktuell nehmen sie wieder zu. Der Verein „Sekten-Info NRW“ oder die Organisation „Der goldene Aluhut“ verzeichneten im vergangenen Jahr einen deutlichen Zulauf. Neu sind die Erzählungen allerdings nicht. Corona schlage lediglich ein neues Kapitel in einer unendlichen Geschichte auf, so Wissenschaftler:innen, die sich mit dem Thema beschäftigen.
Von Misstrauen zur Verschwörungserzählung
Fast jede:r zweite Deutsche glaubt, dass es geheime Organisationen gibt, die Einfluss auf politische Entscheidungen haben; das ergab eine repräsentative Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung aus dem Jahr 2019. Das zeigt, wie groß das Potential in der deutschen Gesellschaft ist, sich Verschwörungsmythen zuzuwenden. Der eigentliche Einstieg ist oft niederschwellig. Es reicht eine Nachricht, die sich an einen Zweifel oder ein Fragezeichen anschmiegt und vielleicht von vertrauten (Medien)Personen verstärkt, wiederholt oder plausibilisiert wird. Es folgt ein Rückzug aus klassischen Medien, der auf lange Sicht zu einem Umzug in eine Medienumgebung abseits klassischer Medien führt (Polarisierungsforschung). Oft ist das der Moment, an dem Menschen nicht mehr zugänglich sind für andere Informationen. Das kann zum Beispiel daran liegen, dass sie ein starkes Gruppengefühl entwickelt haben, das zur Abgrenzung zum Außen und Überhöhung des Inneren führt.
Wer ist denn nun Verschwörungsmythiker:in?
Zwar glauben Männer stärker an Verschwörungen als Frauen (Mitte Studie), die “typischen Verschwörungsgläubigen” gibt es aber nicht. Spätestens in der Vielfalt von Hygienedemonstranten oder Betrachtungen von QAnon-Anhänger:innen ist sichtbar geworden: Es handelt sich um sehr diverse Gruppen. Zum Teil ist es übrigens gerade das, was Menschen bestärkt, auf dem ‚richtigen‘ Weg zu sein. Verschiedene Studien belegen die Diversität der Anhänger:innen. Verschwörungsglaube hat nichts mit psychischen Problemen oder bestimmten Persönlichkeitsmerkmalen zu tun, auch Alter, Intelligenz, Geschlecht, Religion und Bildung spielen kaum eine Rolle. Trotzdem gibt es Haltungen, die Verschwörungsmythiker:innen teilen: Entscheidend zu sein scheint, ob sich Menschen machtlos fühlen oder Schwierigkeiten damit haben, Unsicherheit zu akzeptieren. Forscher:innen sprechen bei dieser Persönlichkeit von einer Verschwörungsmentalität. Sie zeichnet sich außerdem durch ein größeres Misstrauen gegenüber „denen da oben“ aus. Politiker:innen und andere Führungspersonen werden als Marionetten der dahinter stehenden Mächte verstanden (Mehr dazu).
Das sind doch nur die anderen! (Oder?)
Die psychische Veranlagung für Verschwörungsglauben tragen wir alle in uns – das zeigte schon eine Studie aus dem 1994 (Ted Goertzel) – denn wir sind nicht rational. „Die Menschen denken zwar, sie seien rational. Die Veranlagung an Verschwörungen zu glauben, stecke aber in uns allen“ sagt zum Beispiel Katharina Nocun, Autorin des Buches „Fake Facts – Wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen“ (dlf Kultur). Laut Mitautorin Pia Lamberty ist das ein globales Phänomen: Jede:r zweite US-Amerikaner:in glaubt an mindestens eine Verschwörung, 18 Prozent der Deutschen glauben an eine Impf-Verschwörung, laut 17 Prozent ist die Corona-Krise nur ein Vorwand der Politik, um Freiheitsrechte auf Dauer einzuschränken. Jede:r Fünfte glaubt, dass Migrant:innen nach Deutschland gebracht würden, um die Bevölkerung „auszutauschen“. (Hertie Stiftung/ taz). Wenn ihr nun in Euch hinein horcht und feststellt, Ihr seid auch nicht frei von solchen Gedanken: das ist ok. Es ist menschlich, sich Autovervollständigungen zu bedienen, Ängste zu haben oder sich Sorgen über Themen zu machen, die wir nicht völlig durchdringen. Wichtig ist, wie wir mit diesen Gedanken umgehen.
Was fangen wir nun damit an?
Wir bleiben sensibel. Wer versteht, woher Verschwörungsmythen kommen und wie sie funktionieren, kann sie besser reflektieren, bewerten und einordnen. Außerdem hilft es, sich vor Augen zu führen, dass wir alle empfänglich dafür sind.
Konspiratives Denken und die Frage nach Herkunft und Zielgruppe für Verschwörungsmythen habe ich bereits vorgestellt (hier lang) , was diese Mythen für unsere Psyche tun und wie wir damit umgehen können stelle ich Euch im nächsten Text zusammen.
Weitere Quellen
→ Quarks (Übersicht) | Quarks (Warum Verschwörung?)
→ ZDF (Interview mit Katharina Nocun und Prof. Dr. Monika Taddicken)
→ Netzpolitik.org (Übersicht)
→ Mitte Studie (Friedrich Ebert Stiftung)
→ taz (Hygiene Demos)
→ BR (Verschwörungsglaube)
→ dlf Kultur (Interview mit Katharina Nocun)
→ Landeszentrale für politische Bildung
→ Hertie Stiftung (Interview mit Pia Lamberty)
→ Gesundheitsstadt Berlin (WHO – Impfgegner)