Interview: Warum wir süchtig nach schlechten Nachrichten sind

Am Samstagmorgen (20. März 2021) durfte ich im Studio 9 auf Deutschlandfunk Kultur mit Moderatorin Ute Welty über 15 Jahre Twitter und die Anziehungskraft schlechter Nachrichten sprechen (anhören über Apple).

Warum konsumieren wir schlechten Nachrichten?

Wissen ist eine Form von Kontrolle. Das war schon in der Steinzeit so. Zu wissen, welche Beeren giftig sind und wo der Säbelzahntiger wohnt war mitunter überlebensentscheidend. Heute – insbesondere in Zeiten einer globalen Pandemie – ist die Situation besonders komplex, dynamisch und unübersichtlich. Wissen hilft dabei, diese Situation zu bändigen, das Gefühl von Kontrolle zurück zu gewinnen und der Hilflosigkeit etwas Aktives entgegen zu setzen.

Dazu kommt der aktuelle emotionale Cocktail: Wir erleben vor allem Angst aber auch Wut – beide Emotionen können den Informationsbedarf deutlich steigern. Angst kann dazu führen, dass wir uns zurückziehen oder ohne Ende Informationen konsumieren, um der Angst Herr:in zu werden. Daraus entsteht ein Teufelskreis: Mehr (schlechte) Nachrichten machen mehr Angst, die über Nachrichten kontrolliert werden will. Kommt noch Wut dazu, steigt die Eingebundenheit ins Nachrichtengeschehen: Wütende Menschen teilen Nachrichten eher, kommentieren sie oder gestalten selber Inhalte.

Nicht zuletzt hilft Nachrichtenkonsum auch dabei, uns in unserer Gruppe zu positionieren – wer Wissen mitbringt, die mitunter komplexe Situation erklären kann und diskussionsfähig ist, hat einen stärkeren Stand. Dieser Prozess funktioniert besonders gut auf Twitter: Kein Wunder, dass eine der Kernzielgruppe von Twitter Journalisten sind, die hauptberuflich Nachrichten gestalten.

Flatrate auf schlechte Nachrichten: Doomscrolling

Wenn die nicht-endende Timeline dazu führt, dass wir mit dem Scrollen nicht aufhören können („Doomscrolling“ = Unendliches scrollen in negativen Nachrichten-Feeds | Doom (engl.) = (dt.) verderben ), kann das sogar schlecht für die Gesundheit sein. Algorithmen aber vor allem auch die technische Gestaltung der Plattform, die sich der Nutzerbindung und der Verweilzeit verschrieben haben sorgen dafür, dass wir trotzdem dranbleiben. 

Ein weiterer Katalysator ist die Nutzungssituation: Unser Handy ist einer der privatesten Gegenstände in unserem Alltag. Was dort hinaus kommt, kommt nah dran – ins Bett, an den Frühstückstisch, in die freien Minuten in der U-Bahn oder an der Supermarktschlange – direkt in unsere Hände und Augen. Grenzziehung ist unsere Aufgabe und das fällt mitunter schwer.

In sozialen Medien gibt es niemanden, der für uns wohlwollend die Grenzen zieht oder Inhalte auswählt – was unser Handy angeht, liegt diese Aufgabe buchstäblich in unseren eigenen Händen.

Was können wir also tun?

Es hilft zu verstehen, wie die sozialen Medien funktionieren, was sie mit uns machen und wo sie unsere Bedürfnisse befriedigen, ohne dass wir das immer so merken. Insbesondere beim Konsum von schlechten Nachrichten kann das problematisch sein. Für den (negativen) Feed und das Lesen von Nachrichten entstehen dadurch einige konkrete Tipps:

  • Nutzungsdauer limitieren (z.B. über Apps)
  • Nachrichtenkonsum fokussieren (z.B. nur zwei Mal am Tag)
  • Gezielt kontraintuitive Medien abonnieren (um den Algorithmus manipulieren)
  • Mit Menschen über die Nachrichten sprechen, um sie einzuordnen
  • Studien haben gezeigt, dass es hilft, aktiv an einer Konversation teilnehmen. Das stellt bei Nutzer:innen ein Gefühl der Handlungsfähigkeit her – und Selbstwirksamkeit tut der Seele gut
  • Und last but not least: Es lohnt sich, die physische Nähe reduzieren (z.B. das Handy nicht ans/ins Bett legen, auch wenn’s schwer ist 😉 )

Wer das ganze nochmal in einem Gespräch hören möchte, der möge nun dem Interview lauschen. Ich freue mich über die Möglichkeit, als Expertin aufzutreten und natürlich auch über Feedback – immerhin war das mein erstes Live-Interview.

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