English Version Below.
Noch eine Wahlanalyse zur Landtagswahl in Thüringen und Sachsen? Jein. Am Wahlabend hatte ich spontan die Gelegenheit, im Deutschlandfunk Politikpodcast live über meine Forschung zu sprechen (hier die letzen zehn Minuten nachhören). Konkret ging es darum, wie das Gefühl, ausgeschlossen zu sein oder durch sozialen oder normativen Druck ausgeschlossen zu werden, eine starke Motivation darstellt, sich einer anderen Gruppe anzuschließen (Psychologische Reaktanz*, die Motivation, die aus Freiheitseinschränkungen entsteht). Dies geschieht oft, um Sicherheit oder Selbstwirksamkeit zu gewinnen oder um Dissonanzen abzubauen, indem man unter Gleichgesinnten denkt, spricht und fühlt (hier mehr).
Wer über die Wahlergebnisse besorgt ist, empfindet vielleicht wie ich den Drang, sich ebenfalls in die eigene Gruppe zurückzuziehen – in die Sicherheit der Gleichdenkenden, mit der Überzeugung: „Gemeinsam werden wir das schon in den Griff bekommen.“ Diese Empfindung, ähnlich wie die Flucht zur AfD, ist das Ergebnis desselben Prozesses: der Art und Weise, wie wir Freiheit und ihre Einschränkungen verarbeiten.
Dem Ärger Luft machen: Nur mit meinen Buddies?
Passend dazu analysiere ich gerade Daten, die zeigen, dass „sich Luft machen“ durch den Austausch mit anderen eine zentrale Form ist, um ärger-getriebenem Widerstand zu begegnen. Interessanterweise geht starker Widerstand oft mit Vermeidungsverhalten einher (bei Hilflosigkeit) oder mit Abblocken (bei vermeintlicher Themenkompetenz, die häufig zu Relativierungen führt). Das führt dazu, dass Menschen in diskussionssensiblen Themen oft entweder aus dem Diskurs aussteigen oder sich in Gemeinschaften von Gleichgesinnten Selbstwirksamkeit suchen – beides kann künftige Begegnungen mit kritischen Inhalten noch explosiver machen.
In der gleichen Datenauswertung untersuche ich, wie sich die Reaktionen auf einen fiktiven Social-Media-Post unterscheiden, je nachdem, ob dieser normativen Druck ausübt und Vorschriften macht, oder ob die gleichen Inhalte ohne diese triggernden Elemente präsentiert werden.
Während normativer Druck und das Streben nach Kontrolle bei beiden Gruppen den Widerstand gegenüber dem Posting ähnlich stark beschreiben, unterscheiden sie sich darin, welche Rolle die Verarbeitungsstrategien dieses Widerstands einnehmen. Die Gruppe, die einen weniger triggernden Beitrag gesehen hat, wird eher durch kognitive Reaktionen beschrieben, wie das Identifizieren der eingeschränkten Freiheit, was etwa ein Viertel der Reaktanz erklärt. Diese Gruppe wird außerdem durch die Neigung beschrieben, in der medialen Öffentlichkeit dagegen zu argumentieren und das Posting zu konfrontieren. Die Gruppe, die einen stark widerstandsfördernden Beitrag gesehen hat, reagiert hingegen eher trotzig, beschrieben durch empfundene Kontrolle, Kompetenz, Ärger und den Wunsch, entgegenzuwirken. Dieser Trotz überschneidet sich mit ärger-getriebenem Widerstand, den diese Gruppe ebenfalls auszeichnet, der in der weniger getriggerten Gruppe eher rational und funktional bleibt – sie liken das Posting nicht, teilen es nicht und melden es möglicherweise als problematisch.
Interessanterweise werden beide Gruppen ähnlich stark durch den Impuls beschrieben, ihren Ärger mit anderen zu teilen. Dieser Faktor scheint zentral zu sein für freiheitsbedingtem Widerstand, denn er erweist sich als der stärkste, wenn man beide Datensätze kombiniert.
Warum teile ich diese vorläufigen Überlegungen ganz aus dem Kontext der Studie genommen mit euch?
Ich glaube, darin steckt viel: Wir erleben nicht nur eine „Verschiebung der Tektonik“ der politischen Kräfte, wie es heute Morgen im Deutschlandfunk hieß, sondern auch eine Krise der Zugehörigkeiten – und sind auf dem besten Weg in eine stark polarisierte Gesellschaft. Wenn die Reaktion auf normativen Druck und das Zuschreiben von Verantwortung darin besteht, dass wir uns in unsere Nahgruppen flüchten, wie wir es gerade in den Narrativen der Bollwerke und Brandmauern tun, verliert der Diskurs an Qualität.
Meine Daten legen nahe, dass emotional aufgeladene Rückzüge dazu führen können, dass Menschen, die sich überfordert fühlen, die ihre eigene Kompetenz im Umgang mit Konfliktthemen infrage stellen oder als nicht gehört empfinden, oder die die diskutierten Themen als irrelevant abtun, aus der Diskussion aussteigen.
Und das hilft nicht.
Wie bereits an anderer Stelle auf meiner Webseite erwähnt, möchte ich nach Abschluss meiner Dissertation untersuchen, inwieweit die Widerstandsdynamiken und der weltweite konservative Shift Ausdruck eines Gefühls der (fehlenden) Zugehörigkeit sind. Dazu plane ich eine Reihe von Gesprächen mit verschiedenen Gruppen, um systematisch zu erforschen: (a) welche Bedingungen „Belonging“ erfüllen muss, damit wir uns verankert fühlen, (b) wie dies mit Polarisierung zusammenhängt, und (c) was wir für eine konstruktive Gesprächsführung lernen können. Diese Gespräche möchte ich im Sinne transparenter Wissenschaft auch als Podcast zur Verfügung stellen und die Rückmeldungen darauf in meine Forschung einfließen lassen.
All diese Überlegungen sind bereits seit einiger Zeit und immer noch im Entstehen. Dieser Beitrag war angeregt durch den kurzen Impuls im Politikpodcast. Meine Überlegungen sind keine wissenschaftliche Abhandlung, sondern ein Denkanstoß von Dingen, die mir gerade täglich begegnen. Ich freue mich wie immer, wenn jemand mitdenkt.
*Psychologische Reaktanz (Brehm, 1966; Brehm & Brehm, 1981)
Menschen haben ein inhärentes Autonomiebedürfnis. Wenn dieses Bedürfnis eingeschränkt wird – durch gefühlten Verlust von Kontrolle, normativen Druck, das Gefühl Manipuliert oder Belehrt zu werden, Verbote, Regulierungen oder Einschränkung von Auswahlmöglichkeiten –, dann reagieren Menschen mit Widerstand. Dieser Reicht von Vermeidung (die durchaus auch trotzig sein kann), über (schein)rationales Argumentieren, den Ärger rauslassen in Wut, zuwiderhandeln, oder dem Versuch, die Einschränkung durch alternatives Verhalten zu vermeiden. Zusätzlich wird der:die Sender:in und/oder die Botschaft selbst kritisiert, belehrt oder korrigiert, die Botschaft kritisiert, vom Thema abgelenkt oder das Thema relativiert.
Für mehr Informationen: https://reaktanz.ifkw.lmu.de/
English version:
The firewall dilemma: resistance as a crisis of belonging
Another election analysis of the state elections in Thuringia and Saxony? Yes and no. Yesterday, on election night (1.9.24), I had the spontaneous opportunity to talk about my research live on Deutschlandfunk. Specifically, it was about how the feeling of being excluded or being excluded by social or normative pressure is a strong motivation to join another group (psychological reactance, the motivation that arises from restrictions on freedom). This is often done to gain security or self-efficacy or to reduce dissonance by thinking, speaking and feeling among like-minded people (link).
Those who are concerned about the election results may, like me, feel the urge to also retreat into their own group – into the safety of like-minded people, with the conviction: “Together we will get a grip on this.” This feeling, like the flight to the AfD, is the result of the same process: the way we process freedom and its restrictions.
Venting my anger: Only with my buddies?
In line with this, I am currently analyzing data that shows that “venting” through sharing with others is a key way to counter anger-driven resistance. Interestingly, strong resistance often goes hand in hand with avoidance behavior (in the case of helplessness) or blocking (in the case of supposed topic competence, which often leads to relativization). As a result, people often either drop out of the discourse on sensitive topics or seek self-efficacy in communities of like-minded people – both of which can make future encounters with critical content even more explosive.
In the same data analysis, I examine how reactions to a fictional social media post differ depending on whether it exerts normative pressure and prescriptiveness, or whether the same content is presented without these triggering elements.
While normative pressure and the desire for control describe the resistance to the post to a similar extent in both groups, they differ in the role played by the processing strategies of this resistance. The group that saw a less triggering post is more likely to be described by cognitive reactions, such as identifying restricted freedom, which explains about a quarter of the reactance. This group is also described by the tendency to argue against and confront the posting in the media. In contrast, the group that has seen a post that strongly promotes resistance tends to react defiantly, described by perceived control, competence, anger and the desire to counteract. This defiance overlaps with anger-driven resistance that also characterizes this group, which in the less triggered group remains more rational and functional – they do not like the post, do not share it and may report it as problematic.
Interestingly, both groups are similarly characterized by the impulse to share their anger with others. This factor seems to be central to freedom-related resistance, as it turns out to be the strongest when both data sets are combined.
Why am I sharing these preliminary thoughts with you out of the context of the study?
I think there is a lot in it: we are not only experiencing a “shift in the tectonics” of political forces, as it was said on Deutschlandfunk this morning, but also a crisis of affiliations – and we are well on the way to a highly polarized society. If the reaction to normative pressure and the attribution of responsibility is that we take refuge in our close groups, as we are currently doing in the narratives of bulwarks and firewalls, the discourse loses quality. My data suggests that emotionally charged retreats can lead to people who feel overwhelmed, who question their own competence in dealing with conflict issues or feel that they are not heard, or who dismiss the issues being discussed as irrelevant, dropping out of the discussion.
And that doesn’t help.
As mentioned elsewhere on my website, after completing my dissertation, I would like to investigate the extent to which the dynamics of resistance and the global conservative shift are an expression of a sense of (lack of) belonging (link). To this end, I am planning a series of conversations with different groups to systematically explore: (a) what conditions “Belonging” must meet for us to feel anchored, (b) how this relates to polarization, and (c) what we can learn for constructive conversation. In the spirit of transparent science, I would also like to make these conversations available as a podcast and incorporate the feedback into my research.
All of these ideas have been in the making for some time and are still evolving. This contribution was inspired by the short impulse in the policy podcast. My reflections are not a scientific treatise, but rather food for thought from things that I encounter on a daily basis. As always, I am happy when someone thinks along with me.
Translated with DeepL.com