[I] Kleines Verschwörungs-ABC

Bill Gates und die Weltverschwörung – für die einen geflügeltes Wort für Memes, für die anderen eine denkbare Möglichkeit und wieder andere bedrohliche Realität. Dahinter stecken Verschwörungserzählungen. Was das (nicht) ist, warum Menschen davon angezogen werden, wieso das alles auch etwas mit jeder:m Einzelnen von uns zu tun hat und wie die Sozialpsychologie bei der Erklärung hilft, stelle ich in einigen Blogbeiträgen zusammen.

Vorab: Verschwörungs“Erzählungen“ bitte!

Worte schaffen Wirklichkeit. Das ist nicht nur anschaulich und relevant bei Kübra Gümüsay zu lesen (Empfehlung: „Sprache und sein“), das ist auch wissenschaftlich gut belegt. Sprache bändigt die Komplexität der Welt. Oder anders: Gelesenes oder Gehörtes wird zu Bildern in unseren Köpfen und diese bleiben haften („Denken Sie nicht an einen pinken Elefanten.“). Diese wiederum rufen verschiedene Autovervollständigungen in uns ab. Ein gutes Beispiel ist der Begriff „Virus-Mutationen“. Er transportiert das Bild von unkontrollierbaren Organismen mit bösem Eigenleben (oder vielleicht die X-MEN) – ganz unabhängig davon, was wir tatsächlich darüber wissen. Eine Formulierung, mit der wir besser umgehen können ist zum Beispiel „Virus-Varianten“.

Mit Verschwörungstheorien verhält es sich ähnlich, wenn auch weniger plakativ. „Theorien“ sind per Definition mit Studien und Fakten gestützt, belastbar und wissenschaftlich erarbeitet. Das trifft auf die Erzählungen, die aktuell kursieren nicht zu. Daher ist es besser, von Verschwörungserzählungen oder -mythen zu sprechen – auch um ihnen nicht mehr Relevanz und Glaubwürdigkeit zu geben, als ihnen zusteht. In diesem und folgenden Texten zum Thema werden außerdem keine Konzepte dieser Erzählungen wiederholt, da sich schon die Wiederholung in unseren Köpfen festsetzt. Warum? Sprache ist mächtig. Sie ist so tief mit unserem Denken verwoben, dass sie ein Bild festsetzt, selbst wenn wir nicht damit übereinstimmen (Sprache und Wirklichkeit / TedTalk zum Thema). Aber lasst uns zum Thema kommen.

“Fake news” oder Verschwörung?

Einfach gesagt: nicht alles, was nicht stimmt, beinhaltet eine Verschwörungserzählung. Es gibt falsche Informationen, die anderen Zielen dienen – zum Beispiel dem Gewinnen von Wähler:innenstimmen (Bspw. US-Wahl). Das Trickreiche an Verschwörungserzählungen ist, dass sie nicht ausschließlich auf Falschinformationen setzen. Viele Inhalte dieser Mythen basieren auf Ausschnitten von Fakten. Das macht sie so gefährlich.

Ein Beispiel: Tatsächlich gibt es Bill Gates und dessen Stiftung, die die Weltgesundheitsorganisation (WHO) fördert und tatsächlich kann – und sollte – die Abhängigkeit der WHO von diesen Spenden kritisch betrachtet werden. Verarbeitet in einer Verschwörungserzählung werden diese Informationen verwendet, um die Erzählung in der Wirklichkeit zu verankern und von dort weiter zu spinnen. Es fällt daher leichter, ihr Glauben zu schenken (Ein spannender Artikel über die Fehlanwendung dieser Fakten ist in der ZEIT erschienen).

Ok, und woran erkenne ich Verschwörungserzählungen? 

Aus wissenschaftlicher Sicht kann man sieben Punkte zusammenfassen, an denen wir konspiratives Denken, also den Mechanismus hinter den Mythen, erkennen können: 

  1. Widersprüchlichkeit
    Menschen haben gleichzeitig Annahmen, die faktisch nicht zusammenpassen. So denken etwa 10 Prozent der Befragten einer Studie der Universität Erfurt, das es das Virus COVID-19 gibt UND dass es eine Biowaffe aus einem Labor ist. 
  2. Generalverdacht
    Die Skepsis vor der Welt nimmt Überhand. Eliten aber auch gesellschaftliche oder persönliche Bezugsgruppen werden kritisch beäugt, das Vertrauen wird entzogen.
  3. Unterstellen von üblen Absichten
    Hand in Hand mit dem vorherigen Punkt geht die Unterstellung, dass mächtiges Handeln nur zu schlechten Zwecken geschieht. Dazu gehört zum Beispiel, dass der Gesellschaft prinzipiell durch Mächtige geschadet werden soll. 
  4. „Da stimmt doch was nicht!“
    Der Glaube daran, dass etwas Falsch sein muss, auch wenn einigen eigenen Ideen zugestimmt wird. Letztlich herrscht ein Gefühl permanenter Dissonanz vor.
  5. Opferrolle
    Menschen fühlen sich gleichzeitig als Opfer des Systems, der Gesellschaft, der Mächtigen, wie auch als mutige Helden, die als einzige dieser Ungerechtigkeit entgegen treten.
  6. Immunität gegen Beweise
    Oft führen Beweise sogar dazu, dass diesen noch weniger geglaubt wird [siehe Punkt 4]. 
  7. Zufälligkeiten uminterpretieren
    Eigentlich Nebensächliches wird in die Erzählung eingepasst. Garniert werden diese Punkte durch eine bewusste Bevorzugung von unterstützenden Argumenten gegenüber Widersprüchen.

Mit diesem ersten Ein- und Überblick soll es das für diesen Beitrag sein. In den folgenden Texten geht es um die Menschen, die den Erzählungen glaube (vielleicht auch Du?), was diese Mythen für unsere Psyche tun und wie wir damit umgehen können.

Vielen Dank für das Bildmaterial: Hans Braxmeier auf Pixabay

Weitere Quellen
→ Quarks (Übersicht) | Quarks (Warum Verschwörung?)
→ ZDF (Interview mit Katharina Nocun und Prof. Dr. Monika Taddicken)
→ Netzpolitik.org (Übersicht)
→ Mitte Studie (Friedrich Ebert Stiftung)
→ taz (Hygiene Demos)
→ BR (Verschwörungsglaube)
→ dlf Kultur (Interview mit Katharina Nocun)
→ Landeszentrale für politische Bildung
→ Hertie Stiftung (Interview mit Pia Lamberty)
→ Gesundheitsstadt Berlin (WHO – Impfgegner)

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