Wie um alles in der Welt konnte es August werden? Als ich die Zeit das letzte Mal bewusst wahrgenommen habe, war es der tausendzweihundertdritte März oder kaum April. Und irgendwo im Nimbus dieses Zeitloches ist meine To Do Liste zerflossen wie eine Liebschaft, der man zwar viel Energie aber wenig konkrete Zuwendung schenkt. Ich habe in den vergangenen Monaten immer wieder einen dicken Strich gezogen, um zu schauen, wo ich auf dem welken Zettel stehe. Aber da ich zeitweise nicht oben von unten unterscheiden konnte, wusste ich diese Linie nicht einmal gerade zu zeichnen. Und jetzt ist August, die Ferienzeit neigt sich dem Ende und ich versuche erneut einen Neustart im Treibsand. Reinen Tisch machen. Tabula Rasa. Neu anfangen. Strg + N. 

Mein erster Schritt dafür scheint paradox: ich lege alles offen. Vor dem Nichts steht das Chaos der Aufgaben, Verpflichtungen und Verbindlichkeiten. Ich liste auf und streiche weg, sortiere um und fasse zusammen. Dafür, dass ich nichts geschafft habe, habe ich ganz schön viel erledigt (ob alles davon das war, was ich mir vorgenommen habe, ist freilich eine andere Frage). Ich habe eine erste Studie für meine Doktorarbeit konzipiert und durchgeführt. Die Auswertung ist eine Herausforderung aber ich plane meine erste Veröffentlichung.

Dafür, dass ich dachte, ich stehe mir mit beiden Füßen im Weg und auf der Bremse, habe ich ein ganz schönes Stück weg zurück gelegt.

Gleiches gilt für mein Frauennetzwerk: Wir haben ein Curriculum auf die Beine gestellt, unsere Online-Auftritte überarbeitet und bereiten uns auf eine virtuelle Konferenz vor und ganz neben bei habe ich einige inspirierende Weggefährtinnen dazu gewonnen. Ganz zu schweigen von angstfrei.news – was als ein Krisenbewältigungsprojekt gestartet ist, hat sich zu einem festen Angebot entwickelt und schon die ein oder andere Turbulenz überstanden. Wir haben nun einen neuen Turnus, einen Instagramkanal und freuen uns über die Veröffentlichung einiger unserer Texte in der letzten Ausgabe des DASH-Magazins. Irgendwie läuft’s. Oder?

Warum ist mir das nicht aufgefallen?
Ich glaube, für mich gibt es dafür drei Kerngründe: 

(1) Zum einen bin ich es gewöhnt, die Kontrolle zu haben – vielleicht fasziniert mich das Thema auch deswegen wissenschaftlich so sehr. Es ist etwas, das ich in zwölf Jahren in sechs Ländern an zehn Orten in knapp 20 Wohnungen gelernt habe: Einen Plan zu haben, gibt mir Sicherheit und macht mich zufrieden – auch wenn der Plan ist, keinen zu haben. Ich bin das Produktivsein gewöhnt, das daraus entsteht und ein Bisschen macht es mich aus. Ich bin was ich tu – manchmal mehr als dass ich tu, was ich bin. In den vergangenen Monaten war es wie dauerhaft auf Pause zu stehen, ohne Pause zu machen. Wie dieses Geräusch, wenn man bei einem alten CD-Spieler auf Pause drückt – klick, klick, klick, klick… – die Musik steht, aber sie anzuhalten kostet ähnlich viel Kraft, als sie laufen zu lassen. Und so richtig angehalten habe ich sie letztlich ja nicht. So war Kontrolle gleichermaßen ein Hirngespinst wie das Anhalten. 

(2) Der zweite Grund für den gefühlten Stillstand ergibt sich aus dem ersten: Durch die letzten Wochen und Monate habe ich mich bewegt, wie durch Sirup. zäh fließend, jeder Schritt kostete mehr Kraft als üblich. In der Konsequenz war ich so an die Arbeit und die Langsamkeit des Vorankommens gewöhnt, dass ich den zurückliegenden Weg schlicht nicht wahrgenommen habe, weil ich so mit dem Kraftakt es nächsten Schrittes beschäftigt war. 

(3) Letztlich habe ich mehr im Honig festgesteckt, als ihn aus der Sache zu ziehen. Wenn man etwas geschafft hat, sollte man sich darüber freuen und sich selbst mal auf die Schulter klopfen (eine Weisheit meines Vaters). Aber wie soll man den Honig rausziehen, wenn man erstens nicht das Gefühl hat, den Erfolg gesteuert zu haben und zweitens alle Kraft dafür verwendet hat, sich millimeterweise fortzubewegen? Vielleicht, indem man nicht ständig probiert, sich im Sirup fortzubewegen, sondern sich statt dessen mal einen Finger gönnt. 

Gestern habe ich das probiert. Ich habe hier eine Unterseite mit Arbeitsproben angelegt. Eine klitzekleine Auswahl von Dingen, die ich in den letzten Jahren so produziert habe. Schön war das und ein herrlich süßer Moment des Geleisteten. Naja gut, es war auch ein wenig Aufschieberei anderer Dinge – aber es geht doch nichts über ein kleines Bisschen produktives Prokrastinieren. Aber dazu zu einem anderen Zeitpunkt mehr. Ich müsste mich jetzt wirklich mal um die Dinge kümmern, die eigentlich auf meiner Liste stehen, Tabula Rasa machen – ich hab heute schon wieder nichts geschafft …

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