Forschen ist in meinen Augen eine Grundhaltung und eine Lebensform. Deswegen möchte ich meine Promotion und das Leben, in dem sie stattfindet, in meinem Blog begleiten. Er wird mein persönliches Logbuch, eine Echokammer für meine Gedanken und die Einladung an alle die lesen, mitzudenken. Mein erster Beitrag ist Prosa und handelt – wie sollte es auch anders sein – vom Anfangen.

Ich bin auf den Tag genau seit vier Wochen offiziell in meinem „neuen Leben“. Weg vom täglichen Gang ins Büro hin zu – ja wohin eigentlich? Diese Frage ist die Büchse der Pandora meiner letzten Wochen. Ich bin Vollstipendiatin. Das heißt, ich bekomme finanzielle Mittel und das Vertrauen, diese gewinnbringend und fokussiert in meine Dissertation umzusetzen. Hauptberuflich und mit diesem Grad der Freiheit lernen zu dürfen, empfinde ich als den größtmöglichen Luxus! Gleichzeitig ist die Antithese der Freiheit der Zwang, selber Strukturen zu schaffen. Keiner erwartet mich im Büro, keiner diktiert feste Termine, aus „Jour fixe“ wird „Jour flexible“ – und zwar mit mir. Die Schönheit, ein Projekt zu begleiten, das nur Dir selbst gehört, hat die Kehrseite, dass du die einzige bist, die die Verantwortung dafür trägt. Kein doppelter Boden für deine Disziplin.

Glücklicherweise bin ich beschenkt mit einem Doktorvater, der ein ähnlich großes Interesse daran hat, mich einzubinden, wie ich eines habe, mich einzubringen. Wir sehen uns seit zwei Wochen zu zwei Veranstaltungen – eine davon darf ich im Coteaching mitbegleiten – und künftig werde ich reguläre Teilnehmerin im Labmeeting, also dem Teammeeting seines Lehrstuhls sein. Schon wieder Luxus, denn wie ich gestern im Doktorandenstammtisch der sdw hören durfte, ist das keineswegs selbstverständlich für „Externe [Promovierende]“ wie uns Stipendiatinnen.

Trotzdem: Struktur ist die Herausforderung des Anfangs.

Im Grunde weiß ich, was zu tun ist: Ich befinde mich in der Literaturphase. Ich recherchiere, lese, ordne, lasse mich von Fährten verführen wie vorführen und ordne weiter. Im Endeffekt werde ich ein theoretisches Modell erstellt haben, das die Grundlage für die Vorstudie ist, aus der dann die Hauptstudie entspringt. Dann wird alles analysiert, diskutiert und aufgeschrieben. Fertig. Darf ich vorstellen? Frau Dr. Hajek.

Diesem Ablauf stehen mehrere Dinge entgegen.

Da wäre zunächst (1) Das Abwickeln des Vorhers. Egal von wo man kommt (Studium, Weltreise, Elternzeit […]) – die Schwelle zum Neuen braucht Schwung. In meinem Fall ist es der Übergang vom Vollzeitjob in die Dissertation mit begleitender Selbstständigkeit für den gleichen Arbeitgeber. Kommunikationswege müssen neu definiert werden, die Frage, wie ich an alte Daten komme, die Frage, für was ich verantwortlich bin – und für was nicht – muss neu verhandelt werden. Das ist nicht nur ein logistisches und wirtschaftliches sondern auch ein emotionales Thema. Alte Verantwortungen loszulassen ist garnicht so leicht.

(2) Was sind die festen Bestandteile des Neuen? In meinem Fall ist das zum Glück wie oben bemerkt relativ gut abzustecken: Ich habe drei feste Termine in der Uni. Das war es aber auch schon. Alles andere ist Definitionssache: Wie baue ich meine Woche auf? Wann gehe ich in die Bibliothek, wenn ja in welche, vielleicht auch mit wem? Wie regel ich meine Selbstständigkeit: Checke ich jeden Tag Mails, oder nehme ich mir einen Tag die Woche, damit ich mich nicht einweben lasse in „och, das mache ich mal fix“-Affekte? Wann erlaube ich mir Freizeit? Wann gehe ich zum Sport?

Eng damit zusammen hängt (3) das Identifizieren der neuen Räume. Wo findet das neue Leben eigentlich statt? Da wäre die Bibliothek A, da brauche ich etwa 30 Minuten hin und bin in der Regel alleine. Außerdem gibt es Bibliothek B, wo ich etwas schneller bin und in der Regel Bibliotheks-Buddys zur Disziplinförderung und Kaffeepausen-Verführung treffen kann – aber nur an ausgewählten Tagen. Außerdem ist da natürlich das Seminargebäude meines Instituts (40 Minuten), in dem auch das Büro liegt, das ich ab November beziehen darf (aber will ich eigentlich unter Beobachtung arbeiten? Ist mir das ruhig genug?) sowie das Büro bei meinem alten Arbeitgeber, wo ich immer noch willkommen bin und mich auch sehr wohl fühle (15 Minuten, aber von beiden Bibliotheken gedacht in die falsche Richtung). Das will durchdacht werden.

Am meisten fordert mich – wie wohl jede/n – aber (4) wie teile ich die Monsteraufgabe Promotion in händelbare Teile heraus. Wie strukturiere ich den Leseprozess? Wo setze ich Grenzen? Wie lange „darf“ ich eigentlich für so einen Artikel brauchen? Ist es klüger direkt alles mitzuschreiben, oder macht es mehr Sinn, zu Überfliegen – was aber, wenn ich mich dann danach nicht mehr erinnere, ob der Text wichtig war? Wie lange gebe ich mir für die Phase? Und was ist das Endprodukt? Das ist eine Aufgabe, die ich nicht alleine lösen kann, habe ich beschlossen. Ich mache mir selber Vorschläge, erinnere mich daran, wie ich es bei meinem Masterprojekt gemacht habe und versuche, alte Fehler zu erinnern. Mit dem Endprodukt im Gepäck spreche ich dann mit anderen Promovierenden. Das hilft. Ich glaube, wenn man der Illusion unterliegt, man kann alles sofort und auf jeden Fall alleine, dann hat man – insbesondere als Stipendiatin – schon verloren.

Zu vorletzt gilt es (5) sich eine Ausstattung zu schaffen mit der man arbeiten kann. Schreibe ich eigentlich lieber auf dem iPad oder sortiere ich Gedanken auf Papier? Ist mein Rechner fit, habe ich ein Zitierprogramm (wenn ja welches?), funktioniert mein Eduroam, wo bekomme ich eigentlich Zugang zu diesen Lernplattformen? Und in meinem Fall: Warum dauert es 6 Wochen, bis ich in meiner neuen Wohnung endlich WLAN habe?!

Nein, nach vier Wochen habe ich nicht alle fünf Punkte erfolgreich bearbeitet. Aber immerhin konnte ich sie im Café neben dem Seminargebäude strukturiert aufschreiben – das gibt mir Hoffnung, dass ich schon einen Schritt weiter bin. Das ist nämlich (6) Geduld haben. Gut Ding will Weile haben und einige Dinge fallen erst nach einigem Ruckeln an den Platz. Was klingt wie eine Phrase ist meines Erachtens ein wesentliches Erfolgskriterium – wahrscheinlich auch über die Anfangsphase hinaus.

8 Kommentare

  1. Danke David! Das ist aber lieb 🙂 Ich freue mich auf viele spannende Rückmeldungen von Dir!
    Aber jetzt genießt erstmal Euren Urlaub und kommt heile wieder.
    Liebe Grüße aus Berlin!

  2. Jaja. Das selbstbestimmte Schaffen will geübt sein. Ich drücke die Daumen, liebe Katharina. HG Frank

  3. Liebe Katharina, ich freue mich über diesen Weg Deinen Weg der Promotion begleiten zu können. Behalte den Zauber des Neuanfangs im Herzen.
    Herzliche Grüße Mama

  4. Hallo meine Lütte, dieser Blog ist eine tolle Idee. So sind auch Deine Oldys mitten im Geschehen. Herzliche Dank dafür. Dein Daddy

  5. Pingback:Sehnsucht nach Ordnung* – Katharina V. Hajek

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